Auch das mittelsächsische Theater in Freiberg und Döbeln versucht, dem Publikum immer wieder kritische DDR-Autoren zu präsentieren. Nun bündelte es Repertoire-Stücke - etwa Hermann Kants dramatisierte "Aula", Ulrich Plenzdorfs "Neue Leiden des jungen W." mit Podiumsdiskussionen und Uraufführungen öffentlichkeitswirksam zum "Himmelfahrtswochenende des DDR-Theaters". Motto: "Vorwärts! Und nichts vergessen".
Augenmerk verdient dabei die Uraufführung von Brigitte Reimanns Erzählung "Die Geschwister", die am Samstagabend in der Version von Intendant Ingolf Huhn über die Bühne ging. Das 1963 erschienene Prosa-Stück umreißt am Beispiel von zwei Geschwistern den Konflikt, der zweieinhalb Jahrzehnte später zum Ende der DDR führte: bleiben oder gehen? Der Text war in den 60er Jahren offenbar ein seltenes literarisches Dokument der deutschen Teilung, das auf autobiographischen Eindrücken der jungen Dichterin basiert. Nachdem einer ihrer Brüder mit Angehörigen in den Westen gegangen war, schrieb Reimann in ihrem Tagebuch über die "Tragödie unserer zwei Deutschland": "Die zerrissenen Familien, das Gegeneinander von Bruder und Schwester - welch ein literarisches Thema! Warum wird es von keinem gestaltet?"
Sie wagte sich jedenfalls - erfolgreich - daran. Reimann lässt Bruder und Schwester - beide jung und eng miteinander vertraut - plötzlich aufeinander prallen. Student Uli eröffnet Elisabeth urplötzlich seinen Ausreisewunsch. Das Spannende daran ist, dass die Geschwister bislang weder als sture Apparatschiks, noch als sozialismusunfähige Querulanten aufgefallen waren. Beide verkörpern vielmehr Eigenständigkeit, Kreativität und Stärke - allerdings ohne dem real existierenden System Lebwohl sagen zu wollen. Dieser Hintergrund bietet die Folie für die rasch entbrannte Auseinandersetzung, die Privates und Politik verschränkt.
Vom Sozialismus ist die Rede, der nur im Ausland schön ist, von einem starren System aus Dummheit und Bürokratie, aber auch vom Schlagbaum, der durch Familien geht. Die Vorwürfe prasseln im Ping-Pong-Takt aufeinander, und schließlich weiß sich Elisabeth nur dadurch zu helfen, ihren sympathischen wie systemtreuen Freund einzuweihen.
Das mittelsächsische Theater ballte dies in ein rund einstündiges Ein-Frau-Stück. Tamara Korber spielt - das Haar unter einer der Reimann-Frisur nicht unähnlichen Perücke verborgen - die Elisabeth, schlüpfte aber auch rasch in die anderen Rollen. Dabei gelingt ihr ein überzeugender Kraftakt, an dessen Ende Wut und Enttäuschung stehen.