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Green Card für Musiker

"Deutsche haben keinen Zugang mehr zur klassischen Musik"

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Bis zu seinem Abitur war er sich nicht sicher, ob er vielleicht lieber Medizin studieren sollte. Aber Jacob Leuschner entschied sich doch für die Musik und findet heute, dass es das schönste Erlebnis sei, vor Publikum Musik zu machen. Der 26-jährige Pianist ist der einzige Deutsche, der am diesjährigen bundesweiten Wettbewerb der 23 deutschen Musikhochschulen am vergangenen Wochenende in Rostock teilnahm. 26 angehende Solopianisten waren von ihren Hochschulen geschickt worden. Asiatische Konkurrenz dominierte.


"Es gibt uns sehr zu denken, dass wir als Hochschulen ohne Studiengebühren einen hohen Prozentsatz an ausländischen Studierenden in die Wettbewerbe schicken", sagt der Rektor der Rostocker Hochschule für Musik und Theater, Wilfried Jochims. "Wir nehmen nur nach Qualität auf", lautet sein schlichtes Argument. Die Green Card im künstlerischen Bereich, in Deutschland ist sie längst Realität.

Wer eine Solokarriere als Pianist anstrebt, muss mit sechs Jahren anfangen und zwölf Jahre hart arbeiten, um dann auf einer Hochschule aufgenommen zu werden, schätzt Karl-Heinz Will, der an der Rostocker Hochschule Klavier lehrt. Neben Begabung, Fleiß und dem Elternhaus sei besonders ein guter Musikschullehrer nötig, der das Talent frühzeitig entdeckt und fördert.

Der 65-Jährige, der selbst jahrelang das Rostocker Konservatorium geleitet hat, kritisiert vor allem die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung von Musikschullehrern. Sie legten schließlich früh den Grundstein für einen späteren Erfolg ihrer Eleven. Verbessert werden müsse auch die Zusammenarbeit der Musikhochschulen mit den Musikschulen. "Vor der Wende gab es Einzelunterricht und ein gutes Fachberatersystem. Heute werden zwei bis drei Schüler aus Kostengründen in einer Stunde gemeinsam unterrichtet", beklagt Will, der als Klavierlehrer selbst viele junge Spitzentalente auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet.

Hinzu kommt nach Meinung der Experten, dass der Musikunterricht an der Schulen zu stark abgenommen hat und dass die öffentliche Hand die kommunalen Musikschulen zu wenig fördert. "Deutsche Pianisten haben inzwischen technische Defizite, die nur mühsam auszugleichen sind", sagt Will. Die strenge Ausbildung in Asien, die mit drei- oder vierjährigen Kindern beginne, sei da ein unermesslicher Vorteil.

Jacob Leuschner hat mit sieben Jahren angefangen, Klavier zu spielen. Er findet aber, es sei "nie zu spät, die Technik zu lernen." Sein "physischer Zugang zum Klavier" habe sich erst in den vergangenen drei Jahren dank seines Hochschullehrers Konrad Elser in Lübeck verbessert. "Technik hat was mit Geist zu tun", unterstreicht der junge Künstler.

Klavierlehrer Will meint gar zu hören, dass man die Eigenart einer Tradition in der Interpretation der Musik erkenne. "Ein Europäer spielt Beethoven anders." Er glaubt, dass die Tendenz der westeuropäischen Gesellschaft, mit wenig Arbeit schnell viel erreichen zu wollen, viele Talente von der Plackerei des intensiven Übens abhalte. Leuschner hingegen sieht das größte Problem darin, dass es zu wenig Breitenförderung gebe. "80 Prozent der Heranwachsenden haben überhaupt keinen Zugang mehr zur klassischen Musik", schätzt der Solopianist.

Selbstkritisch meint Leuschner, die ersten vier Jahre des Klavierspiels bequem gewesen zu sein. "Wenn man mich zum Üben gemahnt hätte, wäre ich bockig geworden", erinnert sich das Kind von Berufsmusikern. Er habe eben das Glück einer geduldigen Klavierlehrerin gehabt. Er ist konsequent der Musik treu geblieben. Beim bundesweiten Wettbewerb in Rostock wurde er dafür mit einem Förderpreis belohnt.

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